Es gibt ja Menschen, die beim Blick in ihr Depot romantisch werden. Die ihren Aktienbestand wie eine Sammlung alter Schallplatten betrachten – jede Position ein Klassiker, jedes Unternehmen eine Geschichte. Und dann gibt es jene, für die das Portfolio eher einem Gemüseeintopf gleicht: Hauptsache bunt, gesund und günstig. Willkommen in der Welt der ETFs. Zwischen diesen beiden Polen spielt sich ein erstaunlich emotionaler Diskurs ab, der oft weniger mit Zahlen als mit Selbstbild zu tun hat. Doch was wäre, wenn wir das Ganze weniger als Glaubenskrieg, sondern als strategische Überlegung betrachten? Vielleicht hilft ja genau das, um Licht ins Depot-Dunkel zu bringen.
ETFs, diese wohlgeformten Indexschwärme, sind so etwas wie das Pauschalangebot unter den Kapitalanlagen. Man weiß, was man bekommt – und was nicht. Kein lästiges Management, keine absurde Kostenstruktur, keine Heldensaga um einen Fondsmanager, der versucht, mit einem Espresso in der Hand den Markt zu schlagen. Dafür gibt’s: den Markt. Punkt. Und das ist gar nicht so schlecht, wenn man bedenkt, dass dieser Markt – breit gestreut, langfristig betrachtet – gar nicht so schlecht abschneidet. Vor allem dann nicht, wenn man ihn nicht ständig stört. Buy and hold und am besten noch vergessen, dass man investiert ist. Eine Strategie, die besonders den inneren Zappelphilipp zähmt.
Aber – und hier beginnt das Flackern in den Augen vieler Privatanleger – ist das nicht… langweilig? Kein Kitzel, keine Story, kein „Ich habe Amazon gekauft, als sie noch Bücher verkauft haben!“? Eben. Wer Einzelaktien kauft, will mehr. Kontrolle, vielleicht. Beteiligung an einer Vision. Oder einfach das gute Gefühl, nicht der Herde zu folgen. Wer will schon Teil des MSCI World sein, wenn er Elon Musk zitieren kann? Einzelaktien sind wie Speed-Dating mit Firmen: Man hat eine Meinung, ein Gefühl – und manchmal ein böses Erwachen. Sie fordern Aufmerksamkeit, Recherche, Selbstdisziplin. Und nicht selten auch Demut.
Doch hier zeigt sich die wahre Krux: Der Reiz der Einzelaktie liegt oft weniger in ihrer finanziellen Attraktivität als im Ego. Wer trifft schon gerne Entscheidungen, die ein Algorithmus genauso gut – oder besser – treffen könnte? ETFs demütigen uns ein bisschen. Sie sagen: Du bist nicht schlauer als der Markt. Und das ist okay. Einzelaktien hingegen flüstern: Vielleicht bist du es doch. Und wehe, man hat einmal recht – dann wird aus dem Flüstern eine Fanfare. Leider hat auch das Verlieren bei Einzelaktien einen ganz eigenen Soundtrack.
Strategisch betrachtet, ist das keine Schwarz-Weiß-Frage, sondern eine der inneren Haltung. Wer wenig Zeit, wenig Nerven und vielleicht auch keine Lust auf Wirtschaftskrimis hat, ist mit ETFs hervorragend bedient. Sie sind das Grundrauschen des Vermögensaufbaus, der Beleg dafür, dass Stillhalten manchmal die beste Bewegung ist. Wer hingegen Zeit investieren will – und Verluste als Lernkurve versteht statt als Charakterversagen – kann sich an Einzelaktien versuchen. Vielleicht nicht mit dem ganzen Vermögen, aber mit einem Teil. Als Spielwiese, Lernfeld oder schlicht als Ausdruck von Überzeugung.
Denn am Ende sind ETFs nicht besser als Einzelaktien. Und Einzelaktien nicht besser als ETFs. Sie sind Werkzeuge – keine Glaubensbekenntnisse. Man bohrt ja auch kein Loch in die Wand und diskutiert dann darüber, ob die Bohrmaschine oder der Akkuschrauber philosophisch überlegen ist. Die Frage lautet: Was will ich erreichen? Und wie viel Aufwand bin ich bereit zu betreiben?
Vielleicht liegt darin das wahre Anlagegeheimnis: in der Erkenntnis, dass der kluge Investor nicht entweder ETF oder Aktie sagt, sondern beides kennt – und das eine dem anderen nicht als Gegner, sondern als Ergänzung betrachtet. Oder, um es in die Sprache des Kapitalmarkts zu übersetzen: Diversifikation ist nicht nur eine Portfolioeigenschaft, sondern auch eine Denkhaltung.
Und mit dieser Haltung lässt sich manches besser aushalten – selbst die Tatsache, dass man nicht Amazon gekauft hat, als sie noch Bücher verkauft haben. Aber dafür vielleicht einen ETF, der es trotzdem möglich gemacht hat, dabei zu sein.
Financial Poetry
Ein ETF, der schweigt und streut,
macht ruhig reich – nicht laut und scheut.
Er nimmt den Schnitt, nicht das Genie,
doch wer ihn hält, bereut’s fast nie.
Die Einzelaktie, wild, gewagt,
zeigt Höhenflug, doch auch verzagt.
Mal strahlt sie hell wie Morgenrot,
dann stürzt sie tief – ein schnelles Lot.
Planung schlägt das Bauchgefühl,
wer klug entscheidet, handelt kühl.
Wer Stabilität mit Mut kombiniert,
der hat sein Risiko bewusst dirigiert.
Denn Glück allein? Ein trügerisch Spiel –
Strategie entscheidet viel!